Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften

Ope ingenii

Internationale Tagung

15.-17. Februar 2024

Veranstalter: Prof. Dr. Thomas Riesenweber (Wuppertal) und Dr. Carmela Cioffi (Venedig)

Plakat 

Alle Interessierten erhalten einen Zoom-Link auf Anfrage unter riesenweber[at]uni-wuppertal.de.

OPE INGENII

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Das Edieren in der Klassischen Philologie scheint sich von den modernen Philologien im wesentlichen dadurch zu unterscheiden, daß diese meist textgenetisch vorgehen, jene hingegen textgenealogisch. Der Grund für diesen Unterschied liegt im materiellen Befund: Während bei modernen Texten das überlieferte Material meist so umfangreich ist, daß es dem Editor ermöglicht, die Entstehung eines Textes in all ihren Einzelschritten nachzuverfolgen, sind die literarischen Erzeugnisse der Antike in der Regel durch mehrere handschriftliche, selten spätantike, meist mittelalterliche und frühneuzeitliche Kopien überliefert, die oft mit 500, manchmal über 1.000 Jahren Abstand vom Original angefertigt worden sind. Der Vergleich dieser Kopien zeigt, daß sie (je nach Länge des Textes) an tausenden Stellen voneinander abweichen. Da diese Varianz in den meisten Fällen sicher nicht auf den Autor zurückgeführt werden darf, sondern in den Schreibfehlern der Kopisten begründet liegt, stellt sich in der Klassischen Philologie naturgemäß die Frage nach der richtigen Auswahl der Varianten und der Rekonstruktion des Originals besonders drängend.

Wichtige Impulse der Arbeit an der Edition des Neuen Testaments aufgreifend und weiterentwickelnd entstand daher im 19. Jahrhundert das Verfahren der Handschriftenstemmatologie, bei dem man die ‘Vererbung’ von Fehlern dazu nutzt, die erhaltenen Kopien eines antiken Textes in einen Stammbaum einzuordnen. Ziel dieses Verfahrens, das in der Klassischen Philologie erstmals 1850 in Karl Lachmanns Lukrezedition in aller Konsequenz angewendet wurde, ist es, diejenigen Handschriften auszuwählen, die sich unabhängig auf das Original bzw. eine gemeinsame, zumeist nicht erhaltene Vorlage, den sogenannten Archetypen, zurückführen lassen (recensio).

Während sich also die Editoren in den modernen Philologien zumeist auf die Entwicklung eines literarischen Werkes fokussieren, sind die Blicke der Klassischen Philologie zwangsläufig rückwärtsgewandt und auf Rekonstruktion ausgerichtet. Die Rekonstruktion des Archetypen kann aber stets nur der erste Schritt der Annäherung an das Original sein: Da der Archetyp historisch oft viele Jahrhunderte von der Zeit des Autors entfernt ist, muß man sich gelegentlich selbst an Stellen, die von allen Kopien einhellig überliefert werden, fragen, ob der handschriftlich bezeugte Text wirklich das Original sein kann (examinatio). Die Fehlerhaftigkeit des Archetypen ist dabei kein Sonderfall: Da sich die Existenz eines Archetypen überhaupt nur durch Bindefehler in allen Handschriften nachweisen läßt, ist ein Archetyp ohne Fehler zwar theoretisch denkbar, in der Praxis aber nicht zu finden (ω corruptum).

Erweist sich nun die Überlieferung aus bestimmten Gründen an einer Stelle nicht als original, kann also nachgewiesen bzw. plausibel gemacht werden, daß ein Überlieferungsfehler vorliegt, muß versucht werden, das Original methodisch abgesichert durch eine gut begründete Vermutung (coniectura bzw. emendatio ope ingenii) zu rekonstruieren oder doch wenigstens die Korruptel einzugrenzen. Die Konjekturalkritik verläßt damit zwangsläufig den Boden des handschriftlich Überlieferten, weil sie einen Raum zu überbrücken sucht (vom Archetypen zum Original), der nicht durch handschriftliche Evidenz dokumentiert ist. Der Herausgeber kann sich nur noch auf sein Textverständnis, seine Sprachkompetenz und sein Wissen über die Fehlergenese in handschriftlicher Überlieferung verlassen, wenn er frühere Emendationsvorschläge taxieren oder selbst neue Lösungen vorschlagen möchte. Es liegt an ihm und seinem Können (ingenium), ob sein Rekonstruktionsvorschlag überzeugen kann.

Auch wenn oftmals Kritik an diesem historisch nicht ganz zutreffend als „Lachmannsche Methode“ bezeichneten stemmatologischen Verfahren geäußert worden ist, bleibt es in der Altertumswissenschaft notwendigerweise ein wichtiges Instrument für jeden editorisch arbeitenden Philologen, weil eine methodisch abgesicherte Annäherung an das Original anders kaum möglich erscheint. Zwar hat es in den letzten Jahrzehnten innerhalb, vor allem aber außerhalb der Klassischen Philologie eine ‘skeptische’ Tendenz gegeben, die als ‘New Philology’ die primäre Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Lachmannschen Methode angezweifelt hat, nämlich daß man durch die Arbeit der philologischen Rekonstruktion zum ‘ursprünglichen’ Text gelangen kann oder zumindest in die Nähe. Wäre diese Annahme berechtigt, verlöre auch die Konjektur (emendatio ope ingenii) ihren vollen Wert: Denn was wäre der Zweck der emendatio ope ingenii, wenn kein Text wiedergewonnen werden könnte, der ‘mehr’ wahr ist als der jeweils in den Handschriften überlieferte? Aber so berechtigt diese Skepsis gegenüber der ungebrochenen Zuversicht des 19. Jahrhunderts, das Original erreichen zu können, auch sein mag, so mußte sie, zuendegedacht und in voller Radikalität angewendet, für die Klassische Philologie als eine historische Wissenschaft die Konsequenz haben, ganz auf Kritische Editionen zu verzichten: Denn willkürlich einzelne Handschriften z. B. von Ciceros Tusculanen oder Ovids Metamorphosen herauszugreifen und zu transkribieren, würde uns nur fehlerhafte, meist über tausend Jahre vom Original entfernte Momentaufnahmen dieser Werke liefern, die die Überschrift ‘Cicero, Tusculanen’ bzw. ‘Ovid, Metamorphosen’ nicht verdient hätten.

Auf das Rekonstruieren zu verzichten, ist also aus Sicht der Klassischen Philologie nicht praktikabel. Es widerspräche auch der Erfahrung, daß bei Texten, die von mehreren Textzeugen überliefert werden, nicht selten einzelne Handschriften sich gegenseitig kontrollieren, d. h. schon der Vergleich der Handschriften untereinander Fehler in einzelnen Textzeugen aufzudecken hilft. Das Kollationieren selbst zielt daher zwangsläufig auf die Rekonstruktion. Ebensowenig wie auf die emendatio ope codicum darf der Klassische Philologe daher auf die emendatio ope ingenii als Mittel der Rekonstruktion bzw. der Annäherung an das Original verzichten. Konjizieren ist nämlich in seiner ursprünglichen Form zunächst nichts anderes als das, was wir als Leser ständig tun, wenn wir z. B. Proseminararbeiten lesen und Tippfehler am Rand korrigieren, Anakoluthe verbessern, vergessene Wörter nachtragen. Ebenso wie wir annehmen, bei muttersprachlichen Texten oft intuitiv das eigentlich Gemeinte herstellen, uns ihm annähern oder den Fehler doch wenigstens lokalisieren zu können, sollte es in der Reichweite einer methodisch vorgehenden Wissenschaft liegen, in zwei der am besten erforschten Sprachen der Welt, dem Altgriechischen und Lateinischen, fehlerhaft überlieferte Texte zu emendieren. Bestätigt wird diese Annahme durch die vielen nachträglich durch neue Handschriftenfunde bestätigten Konjekturen. Aus methodischer Sicht hat schon Paul Maas vor vielen Jahren die beste Verteidigung der Konjekturalkritik gegeben, als er schrieb: „Natürlich ist es viel schädlicher, wenn eine Verderbnis unerkannt bleibt, als wenn ein heiler Text zu Unrecht angegriffen wird. Denn jede Konjektur reizt zur Widerlegung, durch die das Verständnis der Stelle jedenfalls gefördert wird, und nur die besten werden sich durchsetzen“ (Textkritik 13).

Es soll daher auf der Wuppertaler Tagung nicht um die müßige Frage gehen, ‘ob’ man Konjekturen machen darf (aus Sicht der Klassischen Philologie kann diese Frage nur mit ‘ja’ beantwortet werden), sondern um das ‘wie’ und das ‘wann’. Die emendatio ope ingenii ist manchmal ein mühsamer Prozeß, der dem Philologen jahrelange Erfahrung und Lektüre abverlangt, um sich mit dem Stil, den sprachlichen Eigenheiten und Marotten eines bestimmten Autors vertraut zu machen; manchmal ist sie ein Moment purer Intuition, der dem Geniegedanken nahekommt. Manchmal gelingt sie völlig überraschend an einer dunklen Stelle, an der sich Generationen zuvor vergeblich um eine Lösung bemüht haben; manchmal scheitert sie, obwohl der Kontext völlig klar zu sein scheint. Es ist sicherlich auch wahr, daß sich die ‘Kunst’ der Konjektur im Zeitalter der Digitalisierung in den letzten Jahren dank der stetigen Erweiterung durchsuchbarer Datenbanken wie Musisque Deoque (um ein italienisches Projekt zu zitieren) verändert hat: Heute läßt sich viel schneller als in früheren Jahrhunderten überprüfen, ob ein Wort, eine Junktur oder eine grammatikalische Konstruktion für einen bestimmten Autor oder eine spezifische Epoche der lateinischen oder griechischen Literatur typisch ist oder doch eher ungewöhnlich. Fortschritte in der Lexikographie, etwa beim (ebenfalls inzwischen online durchsuchbaren) Thesaurus Linguae Latinae, erschließen die antiken Sprachen in einer nie dagewesenen Vollständigkeit und Tiefe. Doch auch heute hat das monitum Housmans Bestand, daß „such a man as Scaliger, living in our time, would be a better critic than Scaliger was; but we shall not be better critics than Scaliger by the simple act of living in our own time“ (The application of Thought to Textual Criticism 84). Die Qualität von Konjekturen wird auch weiterhin vom einzelnen Philologen und seiner Sprachkompetenz, seiner Kenntnis des Autors und seiner gedanklichen Durchdringung des Überlieferungsproblems abhängen.

Aber wann muß man wirklich konjizieren? Ist die ‘Notwendigkeit’ eines Eingriffs in die Überlieferung überhaupt ein relevantes Kriterium? Wann kann man sicher sein, daß der überlieferte Text nicht gerechtfertigt werden kann? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sich die originale Lesung wiederherstellen läßt? Wie findet man das Richtige? Diese Fragen sollen Gegenstand der Tagung sein, in der international angesehene Gräzisten und Latinisten mit langjähriger editorischer Erfahrung ihren Umgang mit Konjekturen reflektiert vorstellen und vergleichen werden. Im Mittelpunkt sollen dabei weniger die bekannten, seit Jahrhunderten kritisch durchgearbeiteten Klassikertexte eines Vergil, Ovid oder Cicero stehen, bei denen der Autor und sein Text beinahe ein und dasselbe sind und genügend umfangreiche Textcorpora als Vergleichsmaterial existieren. Natürlich gibt es auch bei diesen Klassikern noch viel zu tun, aber die oben formulierten Fragen scheinen sich bei bestimmten weniger autoritativen Texten dringlicher zu stellen, die mit einem oder mehreren der folgenden Attribute versehen werden können: anonym, pseudepigraphisch, dokumentarisch, technisch, paratextual, bilingual, epigraphisch oder auf Papyrus tradiert, mit unikalen oder komplizierteren Überlieferungsgeschichten. Hier scheint es besonders schwierig, Kriterien für Konjekturen zu entwickeln; zugleich läßt die Beschäftigung mit diesen eher vernachlässigten Textsorten neue Impulse für die Forschung erwarten.

Die Liste der eingeladenen Philologinnen und Philologen ist bewußt so gestaltet, daß neben einer internationalen Provenienz auch ein möglichst breites Panorama der verhandelten Gegenstände entsteht. Da jedes Problem, das sich dem Herausgeber handschriftlich überlieferter Texte stellt, vermutlich einzigartig ist (The application of Thought 69), sind verallgemeinerbare Ergebnisse im Sinne naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten nicht zu erwarten. Um so wichtiger ist es daher, exemplarisch möglichst viele der oben genannten Textsorten der griechischen und lateinischen Literatur von der Frühzeit bis in die Spätantike und darüber hinaus zu berücksichtigen, um die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Konjekturalkritik auf diesem Forschungsfeld auszuloten. So finden sich im Programm Beiträge zu anonymen Texten wie der Expositio totius mundi oder dem Liber pontificalis, Paratexten wie den Ilias-Scholien, zu Texten mit umstrittener Autorschaft wie der Expositio de Platonis libris, zu unikal überlieferten Werken wie der Aegritudo Perdicae, zur Livius-Epitome des Iulius Obsequens, zu den Fragmenten der römischen Komödie, des Apuleius und des Menander Protector, zu Anthologien wie der des Stobaios, zu technischen Schriften wie den Rhetorikhandbüchern der Spätantike oder dem Lehrgedicht Ovids zum römischen Festkalender, schließlich zu bilingualen Texten wie den neu-altgriechischen Gedichten des Lorenz Rhodoman, die vom Autor mit einer lateinischen Übersetzung versehen wurden. Neben handschriftlich überlieferten Texten werden auch solche behandelt, deren Beschreibstoff Papyrus oder Stein ist. Ein zeitlicher Schwerpunkt liegt bei den noch immer wenig erschlossenen Texten der Spätantike, doch werden auch griechische und lateinische Klassiker wie Apollonios von Rhodos oder Caesar in den Blick genommen. Mehrere Beiträge suchen nach Spuren antiker Konjekturaltätigkeit, etwa bei den Alexandrinern oder in der Überlieferung lateinischer Prosaschriftsteller. Ferner wurde bei der Auswahl der Referenten und Vortragsthemen auf eine methodische Breite geachtet: Während viele Beitrage umstrittene Textpassagen philologisch analysieren und verschiedene Emendationsvorschläge taxieren werden, möchten andere die Möglichkeiten divinatorischer Textkritik anhand spektakulärer epigraphischer, papyrologischer oder handschriftlicher Neufunde der letzten Jahre, die manche Konjekturen bestätigen, manche widerlegen konnten, quasi bilanzierend bewerten. Zwei Vorträge werden die Chancen der Digitalisierung vorstellen, zum einen die Datenbank Musisque Deoque, zum anderen das digitale Repertorium der Konjekturen zum Neuen Testament, einem für die Konjekturalkritik besonders herausfordernden Text.

Wenn es durch den wissenschaftlichen Austausch unterschiedlicher Disziplinen schließlich gelänge, die Bewertung der emendatio ope ingenii den fruchtlosen ideologischen Grabenkämpfen zu entziehen und aus der Sicht von Praktikern auf sachlicher Grundlage neu zu verorten, wäre der philologischen und editorischen Forschung auch in weiterem Sinne gedient.

Abstracts: Download

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(1) Antike und mittelalterliche Konjekturalkritik

 

Carlo Martino Lucarini, Die Philologen des Altertums zwischen emendatio ope ingeni und emendatio ope codicum

 

Abstract: Mein Vortrag zielt darauf ab, zu bestimmen, ob die Lesarten, die den Philologen des Altertums zugeschrieben werden, aus Handschriften stammten, oder auf das Konjizieren der genannten Philologen zurückzuführen sind. Natürlich lässt sich auf diese Frage keine allgemein geltende Antwort geben, aber ich bin zu der Ansicht gelangt, dass die alten Philologen am meisten ope ingenii arbeiteten, und dass umfangreiche Kollationen, geschweige denn systematische Untersuchungen der Überlieferung, im Altertum nicht durchgeführt worden.

Ich werde eine Reihe von Texten aus verschiedenen Epochen anführen, die die dargelegte Meinung nahelegen.

 

 

Giuseppina Magnaldi, Ope ingenii e/o ope codicum? Antichi marginalia nelle Epistulae ad Lucilium di Seneca
 

Abstract: The paper detects some ancient marginalia (integrations, corrections and variants) slipped into the text of Seneca’s Epistulae ad Lucilium which caused serious corruptions. Therefore, a series of emendations is defended (Sen. ep. 13.14; 32.3; 51.1) or proposed for the first time (Sen. ep. 11.1; 39.4; 40.9; 65.15; 70.5; 71.22; 76.33).

 

 

Giulio Vannini, Varianti redazionali ed “emendatio ope ingenii” nella Storia di Apollonio re di Tiro

 

Abstract: L’anonima Storia di Apollonio re di Tiro, l’ultimo dei romanzi latini a noi noti, non ci è giunta nella sua forma originaria, ma attraverso recensioni (o redazioni) di età più tarda, la cui antichità e i cui reciproci rapporti sono difficili da determinare. Una tradizione del genere non è un unicum nell’ambito della narrativa ed è comune ad altri testi che, a differenza dei grandi capolavori letterari, venivano adattati alle necessità e al gusto di epoche diverse.

Lo scopo di questa relazione è illustrare lo status quaestionis sulla tradizione di un testo così peculiare. Si mostrerà come la ricostruzione dei possibili rapporti tra le recensioni permette di valutare la loro importanza in termini di prossimità al testo originario, nonché di avvalersi delle loro varianti – nate talvolta dal tentativo di sanare errori veri o presunti della tradizione – per la costituzione del testo della recensione più antica.

 

 

Antonio Moreno Hernández, Conjecture and textual transmission in Caesar’s Bellum Gallicum

Abstract: The history of the transmission of the extant manuscripts of Caesar's Commentarii is eminently linked to the Carolingian era, starting with the oldest witnesses that include only the Bellum Gallicum, from the 9th century, which constitute the so-called “class α” of this text. There are some manuscripts from this period, with solid indications of coming from the scriptoria of the monasteries of Fleury and Corbie, as well as a good part of the manuscripts of this class dated in the 11th and 12th centuries, which also come from French scriptoria. The second principal line of transmission is constituted by the witnesses containing the complete Corpus Caesarianum, including the Bellum Gallicum. These manuscripts show the so-called “class β” text of this work and most of them have also a French origin, but the oldest are dated in the second half of 10th century, later than the principal manuscripts of class α that only contain the Bellum Gallicum.

The high degree of discrepancy in the readings between the classes α and β and the presence of errors in the descendants of the archetype have given rise to a very notable conjectural work, which however is only partially known, for there are a large number of Caesar's manuscripts that have not been collated.

This paper analyzes some traces of emendationes to the text of the Bellum Gallicum corresponding to two different stages of the transmission of the text:

a) Some corrections documented in the Historia Remensis Ecclesiae of Flodoardus of Reims (ca. 948-952), a very valuable testimony of indirect transmission of the Bellum Gallicum, but at the same time controversial about the literality of its quotations.

b) The humanistic emendationes commonly considered ope ingenii, attributed to the initiative of the Aldine edition prepared by Giovanni Giocondo (Venice 1513). Many of them, however, are actually documented much earlier, in a 12th-century manuscript, ms. Oxford Merton Coll. 307, which shows that the origin of many apparently recent emendationes are based on corrections dated in the Late Middle Ages.

 

Alvaro Cancela Cilleruelo, Corruption and Conjecture: A Biblical Scholar in the Carolingian Tours

Abstract: The so-called De consolation in adversis is a Late Latin anonymous work spuriously regarded as a Latin translation of a Greek text; it is a Christian consolatory letter addressed to an unknown (and maybe universal) frater. The only complete primary source for this text is Tours, Bibliothèque municipale, 281, a manuscript written in Tours in the first decades of the 9th century. This codex, which transmits an important corpus of late antique letters, was calligraphed by Adalbaldus, a well-known scribe in the scriptorium of Tours in the period immediately following the activity of Alcuin of York. Another complete copy is found in Caen, Bibliothèque municipal, 34 (which was used as the exemplar for the editio princeps), but it can be eliminated as a codex descriptus. In the margins of the Tours manuscript, there is a set of Tironian notes which have never been fully transcribed or studied by previous editors, even though they were written in the 9th century as well and they are of most philological interest: they refer to three places where the text is manifestly corrupt. What is their content? Which is their origin? Are they conjectural interventions or were they taken from a manuscript (be it the direct model in a revision, or another manuscript)? After a direct examination of the codex, I present the first transcription of these notes. Then, thanks to the discovery of a second independent witness (Angers, Bibliothèque municipale, 275, Tours, beginning of the 9th century), I argue that these notes are Carolingian conjectures: this Carolingian corrector rightly detected real problems in the text of this anonymous work and try to solve them ope ingenii. In spite of the fact that his proposals are probably wrong, they are authentic samples of Carolingian textual criticism and constitute a particular case of medieval “diagnostic conjectures” avant Maas. None of these notes has been signed, but they could well have been written by Adalbaldus himself, who worked copying Biblical manuscripts. This philological interest in correcting the Latin Bible in Tours can be linked to Alcuin of York, who made an influential edition of the Latin Vulgate in previous years in this very centre.

 

 

Rossana Eugenia Guglielmetti, Quando i primi a emendare sono i copisti: il caso della Navigatio Brendani

 

Abstract: The Middle Ages are rich in anonymous texts, written in a poor or not classical Latin. When transcribing these kinds of texts, copyists and readers are often inclined to a free and active attitude, whereby they modify them and correct real or presumed errors according to their expertise and taste. For this reason, the task of philologists in reconstructing the manuscript tradition, and consequently the text they edit, is more challenging. The case of the Navigatio Brendani shows examples of the different facets and consequences of emendatio practised so freely by copyists.

 

 

(2) Scholia

 

Lara Pagani, Emendation in scholiastic corpora: the case of the Iliadic scholia

 

Abstract: A paraliterary work created on the basis of a compilation process, such as a scholiastic corpus, has characteristics that condition both textual constitution in general and emendation in particular. Being a product with a low authoriality level and the result of stratification of different sources, it entails an adaptation of many concepts of stemmatic philology. Despite the multiformity resulting from the scholiastic praxis, modern critical editions of scholia tend to resort to a reconstructive approach, with the goal of restoring the corpus in a form as close as possible to that conceived by its original compiler, whenever the manuscript tradition allows it. A series of examples taken from the Iliadic corpus will be discussed, in order to oultine a typology of emendations that can be found in it.

 

 

(3) Instabile Texte

Adriano Russo, Instability of the tradition and variability of the emendatio: some cases from the poems of Paul the Deacon

Abstract: No manuscript contains the entire corpus of Paul the Deacon’s poems, and probably no such book has ever existed. His poems survive, instead, in a large number of florilegia and miscellanies, and in association with disparate texts, as well as in indirect tradition. Each poem has a different and specific tradition: which makes it impossible to choose a stable editorial line and to adopt it consistently for all the pieces.

It is, however, possible to identify some “blocs” of poems that circulated together quite regularly. This is the case of a set of verse epistles preserved in Paris, BnF, lat. 528 (Saint-Denis, 8th-9th century; = P) and Sankt-Gallen, SB, 899 (Sankt-Gallen, late 9th century; = G). These witnesses are independent on each other. The analysis of the textual corpus of P shows that this manuscript is a sort of an artificial “zibaldone” of Paul the Deacon: it is neither an autograph nor an authorial codex, but it contains texts that had been collected by Paul during his stay at the Carolingian court, and quite certainly is a direct copy of what we can regard as Paul’s personal archive, plausibly preserved at Saint-Denis after he left France to travel back to Italy in 785. G clearly derives from this same “reservoir” of texts. This means that P and G do not derive from a single common antigraph, but from multiple common models: most likely from a “dossier” made up of unbound leaves or quires, that Paul had collected and kept together. Each piece of this dossier has a different ecdotic status: in some cases, the common model of P and G could be the original, and thus its text needs no emendation; in other cases, it could be a copy realized by Paul’s scribes of by the sender’s scribes, and could thus contain mistakes. This entails that, even if the set of poems common to P and G seems to have a “stable” tradition, emendatio cannot be practiced indistinctly on the text of all these poems. In this paper I will try to exemplify this statement by mean of some case-studies, whose analysis leads me to be much more cautious than the previous editors in emending the common text of P and G.

 

 

(4) Fragmente, Zitate, Exzerpte, Anthologien

 

Luigi Galasso, Restaurierung und Rekonstruktion in der archaischen lateinischen Tragödie

Abstract: The discussion of some fragments from the tragedies of Ennius, Pacuvius, and Accius exemplifies a typology of use of conjecture in fragmentary Latin tragic texts. The use of conjecture ranges from cases in which the interpreter wants to find in the text what he or she is looking for, often under suggestion of assumptions about Greek models, to necessary restoration. Even in this case, however, further problems may originate and there may be a temptation to introduce extraneous elements into the reconstruction. Some thoughts on the limits the editor must set for himself are presented.

 

Kevin Protze / Lioba Kauk, Textual criticism without contexts – On the role of the conjecture in the new edition of the Roman comic fragments

Abstract: The role of making conjectures in an edition of Roman comic fragments splits in two major aspects: The close context in which the individual fragment is quoted, and the text of the fragment itself.

As for the close context, our main concern are the attributions which are made by the citing authors: the name of the poet and the title of the comic piece. This information is used as categories to sort the fragments and to reconstruct literary history and should, therefore, be treated with great care. We will show examples of different problems in the transmissions of the texts that require conjectures, and how we deal with different levels of certainty of these conjectures and their consequential attributions.

Concerning the text of the actual fragment, we ask for the role of the conjecture bearing in mind that we mostly know nothing about the original dramatic context of what is preserved to us as a fragment. We propose to avoid both extreme scepticism and extreme self-confidence and want to achieve a most readable text without hiding our honest insecurities. The decision between printing the crux desperationis or a conjecture plays a crucial role in this approach.

 

 

Stefano Martinelli Tempesta, Quotations from Greek texts in Latin authors: to what extent is ope ingenii restoration appropriate?

 

Abstract: Quotations from Greek texts in Latin authors enjoy a special textual status. These textual segments, in fact, from an editorial point of view must be considered from a dual perspective: on the one hand that of the text of the quoted author, and on the other hand that of the text of the quoting author. In the first case, the editorial aim is to reconstruct, as far as possible, the original text of the quoted author with recourse, where necessary, to conjectural emendations; in the second case, on the other hand, one must reconstruct the form in which that text was quoted, which may also be erroneous, inaccurate, incomplete. Through the presentation of some examples from the Attic Nights of Aulus Gellius, an attempt will be made to illustrate within what limits the reconstruction of the quoted text may benefit from emendatio ope ingenii.

 

 

Tiziano Dorandi, Considerazioni preliminari sulla trasmissione e la storia del testo dei libri 3–4 dell’Antologia di Giovanni Stobeo

 

Abstract: La tradizione manoscritta e la storia del testo dei libri 3–4 dell’Antologia di Giovanni Stobeo vanno considerate separamente da quelle dei libri 1–2. Diversi sono i manoscritti che trasmettono le due coppie di libri e diversi i modi della loro trasmissione.

Dopo avere riesaminato l’insieme di problemi dei primi due libri (T. Dorandi, Stobaeana, Baden Baden 2023), è mia intenzione presentare oggi alcuni dei risultati preliminari delle mie ulteriori ricerche sui due libri finali.

I libri 3–4 sono tramandati in due recensiones diverse che variano fra loro sia nella successione delle ecloghe sia nel loro numero. L’esistenza di una terza recensio è da escludere poiché quella che potrebbe essere considerata tale è in realtà un prodotto derivato dalla prima delle due precedenti.

Accanto ai codices integri, l’editore di Stob. 3–4 deve considerare anche la presenza di numerose ecloghe nella tradizione degli Gnomologi bizantini e nelle due ᾿Ιωνιαί di Michele e Aristoboulus Apostolis. Nessuna di queste ulteriori tradizioni risale a fonti manoscritte diverse da quelle finora conosciute, ma esse dipendono di volta in volta dall’uno o dall’altro dei testimoni conservati o dai loro modelli perduti.

Seguiranno infine brevi considerazioni sulla possibilità di applicare all’edizione della Antologia dello Stobeo i criteri tradizionale della filologia classica e in particolare quelli di interventi ope ingenii o ope codicum.

 

Markus Stein, Menandrea Protectoris. Aus der Arbeit an den Kleinen und fragmentarischen Historikern der Spätantike (KFHist)

Abstract: Zur Zeit des Kaisers Maurikios (582-602) hat Menander Protector ein Geschichtswerk verfaßt, in dem er, die Historien des Agathias fortsetzend, die Ereignisse der Jahre 558 bis vermutlich 582 dargestellt hat, von der ausklingenden Regierungszeit Justinans also über die Justins II. bis zur der des Tiberios II.

Das Werk ist nur fragmentarisch erhalten, zuvörderst in den durch Konstantinos VII. Porphyrogennetos (905-59) veranlaßten Excerpta historica und in der davon abhängigen Suda. Daraus ergeben sich für die Fragestellung der Möglichkeiten und Grenzen der Konjekturalkritik zwei Betrachtungsfelder: Das eine betrifft die Eigenarten der konstantinischen Exzerpte und ih-rer Überlieferung, das andere die Besonderheiten der Sprache und Ausdrucksweise des Autors und seiner Zeit.

Erstere werden behandelt anhand der Frage der korrekten Namensform eines zum Christentum abgefallenen Magers (Ἰϲαοζίτηϲ oder Ἰϲβοζήτηϲ: vgl. KFHist Men. Prot. fr. 35aβ u. 35aγ = fr. 13,3 u. 13,4 Blockley), letztere am Beispiel zweier grammatikalischer Phänomene, die zu Änderungen der Überlieferung eingeladen haben: Das eine betrifft den substantivierten Infinitiv im dativus causae, wobei der Infinitiv ein Begehren ausdrückt, so daß die ganze Formulierung sich inhaltlich einer Zweckbestimmung annähert (vergleichbar einem τοῦ bzw. τοῦ μὴ mit inf. im klassischen Spachgebrauch), das andere einen in die Zukunft weisenden Infinitiv Aorist nach einem verbum dicendi oder verbum putandi.

 

Antonio Stramaglia, Gran. Licin. XXVIII, 15-16 Criniti: una storia di resurrezione,

Abstract: This paper offers a fuller reconstruction of a story of return from death in the scanty and muddled remains of Granius Licinianus (XXVIII, 15-16 Criniti), thereby emphasising the truly vital role of conjectural criticism in such fragmentary and problematic texts.

 

 

(5) Anonyma und Pseudepigrapha

 

Carmela Cioffi, Das Bellum Africum als philologische Herausforderung

 

Abstract: Das Bellum Africum ist ein sich wiederholender Text mit Pleonasmen, Umgangssprache, Anakoluten und syntaktischen Ungleichgewichten. Angesichts dieser Merkmale lassen sich zwei ekdotische Tendenzen antreffen: einerseits eine seltene Normalisierung, andererseits die Beibehaltung selbst der ungewöhnlichsten Merkmale und sprachlich an der Grenze des Akzeptablen. In meinem Beitrag analysieren wir, was in der Editionsgeschichte dieses Werkes als echter Sonderfall bezeichnet werden kann: Es ist Woelfflins Ausgabe, die mit ihren 300 Tilgungen den radikalsten Versuch darstellt, einen Text zu emendieren mit dem typisch positivistischen Wissenschaftsgeist des 19. Jahrhunderts, ausgehend von einer sehr spezifischen attributiven Annahme (das Bellum Africum wäre das Werk von Asinio Pollio).

Aber die emendatio ist keine exakte Wissenschaft, sondern (vor allem) eine Kunst. Ausgehend von dieser Annahme und im Anschluss an die Kritik pünktlicher und strenger Rezensenten wie Rudolf Schneider musste sich Wölfflin selbst mit einer völligen Blödsinn abfinden: 1896 veröffentlichte er eine zweite Ausgabe, die in der des gesamten von Kübler herausgegebenen Corpus Caesarianum enthalten war, und markierte damit die Rückkehr zu einer ausgewogeneren kritischen Kunst und einer stärkeren Rücksichtnahme auf die Besonderheiten eines verbliebenen Autors unbekannt, aber mit einem für ihn sehr charakteristischen Stil.

 

 

Stephen Heyworth, Diagnosing interpolation and corruption in the Consolatio ad Liuiam

 

Abstract: The absence of awareness of subsequent events (Tiberius’ withdrawal to Rhodes and succession to Augustus, the exile of Julia, the prominence of the children of Drusus) makes it hard to find a plausible date for the Consolatio ad Liuiam significantly later than the death of Drusus in 9 B.C.  It follows that the diction and motifs shared with Ovid in his later poems and with Seneca are due to their imitation of this poem and not the other way round.  Together with the artistry visible in much of the poem and the thoughtful design leads to high expectations of quality, and should inform the editor’s approach to the poem.  The paper will examine some possible cases of corruption and interpolation (including the opening lines).

 

 

Marcus Beck, «A new work by Apuleius?» - Die Placita-Sammlung des Codex Vaticanus Reginensis Latinus 1572 im Spannungsfeld von Text- und Echtheitskritik

 

Abstract: The Codex Vaticanus Reginensis Latinus 1572, along with De Platone et eius dogmate and the other opera philosophica by Apuleius, contains a small collection of doctrines (placita) translated into Latin from a series of Platonic writings. Its first editor Justin Stover aims to recognize this opusculum as the lost third book of De Platone et eius dogmate, an identification that is to be challenged as reviewers have already noted. Based on content-related, but above all linguistic and stylistic objections, the speaker also harbours doubts about the Apuleian provenance of the placita. The subject of the lecture will explore the tension within which textual and authenticity criticism inevitably have to operate. Like almost every ancient literary text, the small placita collection is not free of transmission errors. The argument will be made that the standard for correcting obvious corruptions should be both the author's use of language and the Greek original. More difficult, however, are the cases where the emendation runs the risk of cancelling or even introducing an indication for or against the postulated provenance. The discussion of selected examples will show that the dilemma can only be solved ope ingenii, i.e. by carefully analysing each individual case.

 

 

Lara Nicolini, Three textual problems in the Aegritudo Perdicae

 

Abstract: The latin epyllion Aegritudo Perdicae is a rather mysterious work. The text, of uncertain date, has come down to us anonymously, and it depends on one very late codex, a fifteenth-century manuscript, that was only discovered at the end of the 19th century. The text is inevitably very ruined and full of errors of various kind. Indeed, we can find in it a veritable catalogue of the of errors and practical questions usually included in a manual of textual criticism: accidental damages and lacunae, haplography and dittography, confusion between abbreviations, transposition of words, line skips due to saut du même au même, interpolations, and so on.  In this paper, some of the most famous loci vexati are analysed and a possible solution is proposed for each of them.

 

 

(6) Zur Methodik der Konjekturalkritik

 

Gavin Kelly, Conjectural emendation of Ammianus Marcellinus and the impact of prose rhythm

 

Abstract: The importance of metrical clausulae in Latin prose of antiquity, and of accentual clausulae in Latin of late antiquity and the middle ages, was rediscovered in the early 1880s, having been virtually forgotten since the 1400s. It was soon understood that accentual clausulae of astonishing regularity were the central element of the prose style of the Latin historian Ammianus Marcellinus (composed c. 390), and the great critical edition of the American scholar Charles Upson Clark embedded attention to clausulation in its punctuation and even its title: recensuit rhythmiceque distinxit Carolus U. Clark. Clark, with his collaborator Wilhelm Heraeus and his student A.M. Harmon, was able to identify corruption and correct the text in many hundreds of places. Many past conjectures were brutally disproved: this has particular significance in assessing the 1533 edition of Gelenius, which was shaped both by a lost Carolingian manuscript and by its editor’s daring approach to conjecture. In this paper I assess the impact of the rediscovery of accentual cursus in a sample passage of Ammianus, examine some twentieth-century attempts to downplay the importance of cursus, and reflect on the role of prose rhythm in emendation of late Latin art-prose more broadly.

 

 

Justin Stover, Conjectural emendation in Aurelius Victor and the Historia Augusta: Methodological considerations

 

Abstract: How we view texts affects - consciously or not - how we edit them. If we consider an author to be profound and stylish, we are not likely to accept transmitted banalities and infelicities. So too, however, if we consider an author to be trivial, ill-informed or stylistically overwhelmed, we are more likely to be tolerant of transmitted passages of dubious sense. Using two linked late antique historical texts, the so-called Historia Augusta and the likewise so-called De Caesaribus of Sex. Aurelius Victor, I show how these attitudes have affected editorial practice in contrasting ways. Everyone knows that the Historia Augusta is a farrago of invention and fraud, and that its author had at best a dubious grasp on his material, and yet editors have consistently emended the text to remove errors and innovations which may well be authorial. On the other hand, Sex. Aurelius Victor has been considered a minor historian with a poor and turgid Latin style; as a result, every edition of his work so far contains corrupt passages left by editors to stand. Having a more accurate assessment of Victor and his literary value helps us use conjectural emendation to improve his text.

 

Giovanni Zago, De Aviano emendando

Abstract: As a poet and fabulist Avianus was frequently clumsy and imprecise; therefore, in many passages it is difficult for the textual critic to determine whether errors in syntax, prosody or narrative construction are to be attributed to the author himself or to the copyists. However, Avianus was unquestionably a learned man and an avid reader of the great Latin poetry of the Golden and Silver Ages. Thus, for the purposes of textual criticism and interpretation, intertextual analysis is an extraordinarily effective tool, since in some passages it reveals that the transmitted text, apparently corrupt, is actually sound, in others it is the key to healing a paradosis that is really corrupt. I am currently working on the new Teubner edition of the Fables of Avianus, which will contain several original emendations. To stimulate discussion, in my paper I will deal with four problematic passages in Avianus: in one of them intertextual analysis shows that the transmitted text should not be altered; in the other three it inspires emendations.

 

 

Thomas Gärtner, Möglichkeiten und Grenzen der Konjekturalkritik bei Lorenz Rhodoman

 

Abstract: Die besondere Editionssituation, die sich bei den bilingualen griechisch-lateinischen Dichtungen Lorenz Rhodomans ergibt, wird anhand ausgesuchter textkritischer Probleme unter dem besonderen Gesichtspunkt der Konjekturalkritik beleuchtet.

 

 

(7) Papyrologie

 

Gauthier Liberman, The Rake’s Progress: the text of Alcestis Barcinonensis forty years after the editio princeps

 

Abstract: Alcestis Barcinonensis is a witty and elegant anonymous para-tragic 122 hexameter poem transmitted in a miscellaneous Egyptian papyrus codex (saec. IV/2). It was first published in 1980. The latest critical edition appeared in 2014. Both the editio princeps and the editio nuperrima are but slightly doctored transcriptions of the transmitted text. Now the text of some editions published between 1980 and 2014 is heavily doctored. Which editorial standpoint is a progress, which a regression? In other words, are Apollo's prophetic laurels invoked by Admetus anxious to know if he is about to die TUO DE NOMINE TECTAS or TUO DE NUMINE DOCTAS? Before Apollo himself eventually tells the truth, let us answer and attempt at providing a new recensio.

 

Graziano Ranocchia, Divinatio ed emendatio nell’edizione di papiri ercolanesi oggi

 

Abstract: Through one or more case studies the various steps for the constitutio of a papyrus text from Herculaneum will be shown.

 

 

(8) Moderne Hilfsmittel

 

Paolo Mastandrea, Ope ingenii, ope machinarum / Martina Venuti, Digital Tools and Latin Philology: Thoughts and Perspectives

 

Abstract: The two interrelated contributions, conceived as a diptych, focus on a few problematic passages drawn from the works of Livy, Martial, and others. The primary objective is to propose and discuss conjectures rooted in traditional philological methodology (ope ingenii) or potentially resolved with the support of digital tools like those developed within MQDQ Galaxy (ope machinarum). Furthermore, the presentation will propose an open discussion on the evolving perspectives enabled by artificial intelligence (AI) within the field of Latin philology.

 

Jan Krans, Die Amsterdamer Datenbank der neutestamentlichen Konjekturen als Forschungsergebnis, Forschungsinstrument und Digitalisierungsmodell

Abstract: Seit November 2016 steht im »New Testament Virtual Manuscript Room« (https://ntvmr.uni-muenster.de) den Forschern und allen Interessierten die Amsterdamer Datenbank der neutestamentlichen Konjekturen zur Verfügung. Diese Datenbank ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts, »New Testament Conjectural Emendation. A Comprehensive Enquiry« (2010–2016), an der Vrije Universiteit, Amsterdam, und wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für neutestamentliche Textforschung für das Internet gestaltet. Für jede Konjektur die zum griechischen neutestamentlichen Text je gemacht worden ist, bietet sie möglichst genaue Information über Urheber und Quelle, sowie ausführliche Wirkungsgeschichte und kritische Anmerkungen.

Der Beitrag präsentiert die Grundlagen, die methodischen Prinzipien und die praktischen Hindernisse beim Sammeln von Daten, zeigt, wie die Datenbank für eigene Forschungszwecke genutzt werden kann, und untersucht die Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Anwendung des Projektmodells auf andere Textkorpora.

 

 

(9) Epigraphik

 

Armin Eich, Die Ergänzung und Interpretation fragmentarisch überlieferter Inschriften auf dem Prüfstand epigraphischer Neufunde

 

Abstract: Die Eigenart epigraphischer Überlieferung gestattet zuweilen einen besonderen Typ der Verifikation divinatorischer Konjekturen, der bei kopial tradierten Texten in dieser Form nicht möglich ist. Denn in einer ganzen Reihe von Fällen ist es aufgrund von später entdeckten (oder wiedergefundenen) Bruchstücken zuvor bereits fragmentarisch bekannter Texte möglich, zwischenzeitliche Auffüllungen von Spatia zu überprüfen. Diese Überprüfung ist aus verschiedenen Gründen mit Vorsicht anzugehen: Editoren epigraphischer Texte pflegen spätestens seit Mommsens Tagen mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die Ergänzungen epigraphischer Fragmente nicht als wörtliche Rekonstruktion, sondern als Interpretation zu verstehen seien. Zu beachten ist auch, dass Inschriften in aller Regel ebenso wenig wie bspw. Pergamentmanuskripte die Urredaktion des betrachteten Texts darstellen. Bei epigraphischen Texten war die vom Autor gewollte Textfassung in der Regel die handschriftliche Vorlage des in einem Folgeschritt auf dauerhaftes Material kopierten Texts. Die auf Stein, Bronze oder anderen haltbaren Materialien publizierten Inschriften haben jedoch in allen überprüfbaren Fällen bereits Veränderungen gegenüber der Kopiervorlage enthalten. Dennoch entsprechen die Inschriften häufig der ersten publizierten Version eines Texts, also einem Stadium der Überlieferungsgeschichte, auf das wir bei kopial tradierten Texten des griechisch-römischen Altertums in aller Regel nicht unmittelbar zugreifen können.

Unter Beachtung der angesprochenen Kautelen ist das Schicksal von Konjekturen, Bestätigungen und Revisionen in der Epigraphik von einem gewissen methodologischen Interesse. Selbst wenn man die Forderung, die in den Editionen regelmäßig vorgeschlagenen Füllungen von Spatia lediglich als ‚Interpretationen‘ zu deuten, uneingeschränkt übernimmt (wogegen die Praxis der quantitativ, grammatikalisch und stilistisch möglichst passgenauen Konjekturen eigentlich spricht), wäre immer noch zu fragen, mit welchem Erfolg diese Deutungen das inhaltlich Richtige zu treffen pflegen.

 

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